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Mary Beth Keane: Wenn du mich heute wieder fragen würdest

Ich falle gleich mal mit der Tür ins Haus: Wenn du mich heute wieder fragen würdest ist eines meiner Jahreshighlights 2020 (und der Eisele-Verlag entwickelt langsam, aber sicher zu einem meiner Lieblingsverlage). Dieser Roman erzählt eine so subtil berührende, vielschichtige und bei aller Tragik unaufgeregte (Liebes-)Geschichte, wie ich sie schon lange nicht mehr gelesen habe. Und darum geht’s:

 

Kate und Peter wohnen seit ihrer Geburt Haus an Haus in einem idyllischen, geruhsamen Vorort von New York. Ihre Eltern sind im gleichen Alter, haben einen ähnlichen Background: die Väter Francis und Brian sind beide Polizisten, haben sogar schon einmal gemeinsam Dienst in der Bronx getan und verstehen sich recht gut. Ihr Lebensumfeld ist wie geschaffen für eine freundschaftliche Nachbarschaft, in der man sich gegenseitig zum Barbecue und zu Weihnachtspartys einlädt, die Kinder gemeinsam aufwachsen sieht, sich gegenseitig beisteht. Und es könnte der Beginn einer wundervollen, zukunftsfähigen Sandkastenliebe sein, denn Kate und Peter sind nicht nur allerbeste Freunde, man könnte ohne Übertreibung sagen, sie lieben sich von Anbeginn an. Es könnte alles so schön sein – wenn da nicht Peters Mutter Anne wäre. Anne ist, gelinde gesagt, seelisch fragil, ihre Stimmungen wechseln vom sprichwörtlichen Himmelhochjauchzend zum Zu-Tode-betrübt-Sein, ja, nicht nur das, sie neigt in ihren schlechten Phasen zu irrationaler Aggressivität. Und eines Tages geht das menschgewordene Pulverfass Anne in die Luft und reißt nicht nur ihre, sondern auch Kates Familie in eine nicht wiedergutzumachende Tragödie. Und doch ist ihre unbeschreibliche Tat weder das Ende noch der Anfang, sondern nur ein folgenreicher Teil der Geschichte von Kate und Peter.

 

Der Klappentext beschreibt Wenn du mich heute wieder fragen würdest als „eine Geschichte, die danach fragt, was passiert, wenn Romeo und Julia sich gegen alle Widerstände gefunden haben und ihr Leben miteinander verbringen wollen“. Und diese Beschreibung trifft den Handlungsstrang der beiden Protagonisten sehr gut. Doch dieser Roman erzählt weit mehr als „nur“ eine Liebesgeschichte. Er erzählt von Einsamkeit und Sehnsucht, von Freundschaft und Vergebung, von Schuld, von Wunden und deren langsamer, teils unzureichender, aber „Irgendwie dann doch“-Heilung, er erzählt vom einfach Weitermachen und niemals Aufgeben.

 

Neben der wunderbaren, unaufgeregten und doch eindringlichen Sprache (aus dem amerikanischen Englisch von Wibke Kuhn) und dem herausragenden Erzähltalent der Autorin ist vor allem ihre Fähigkeit, lebensnahe und vielschichtige Figuren zu erschaffen, hervorzuheben. M. B. Keane räumt auch den Nebenfiguren genügend Raum ein, sie lässt jede Einzelne und jeden Einzelnen lebendig werden, ohne sich dabei – und das ist die große Kunst! – in Nebensächlichkeiten oder Stereotypen zu verlieren.

 

Und so kann ich nur enden, wie ich begonnen habe: Wenn du mich heute wieder fragen würdest ist eines meiner unangefochtenen Lektürehighlights dieses Jahres, deshalb – selbstverständlich – eine ganz, ganz große Leseempfehlung!

 

[Werbung/Rezensionsexemplar. Ich danke NetGalley und dem Eisele Verlag von ganzem Herzen für die kostenlose Bereitstellung des E-Books und das damit einhergehende wunderbare Leseerlebnis.]

 

Mary Beth Keane: Wenn du mich heute wieder fragen würdest. Aus dem amerikanischen Englisch von Wibke Kuhn. Eisele Verlag 2020. (E-Book)

 

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