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Andreas Fischer: Die Königin von Troisdorf. Wie der Endsieg ausblieb

„Oma Lena ist kleiner als die meisten Menschen, doch sie schafft es, selbst auf Menschen herabzusehen, die drei Köpfe größer sind als sie.“

 

Troisdorf in den 60ern. Die Oma: unangefochtene Herrin im Haus, Matriarchin, die titelgebende „Königin von Troisdorf“. Die Mutter: stets überarbeitet, stets auf dem Sprung, aufgerieben im familieneigenen Fotoatelier, das ihr und der gesamten Familie einen stetig wachsenden Wohlstand beschert (was sich indes nicht zwangsläufig in komfortablen Lebensumständen niederschlägt). Der Vater: ein ewig Gestriger, der seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unter ungesunden Mengen an Alkohol und Nikotin vergräbt. Die Tante: kinder- und anspruchslos. Der Onkel: nun ja, der ist auch noch da. Und dazwischen der kleine Andreas: einziges Kind, einziger Enkel. Doch das bedeutet keineswegs, dass ihm das in irgendeiner Weise eine Vorzugsstellung in dieser wortkargen und gefühlsarmen Familie einbrächte.

 

Der damaligen Devise folgend, Kinder solle man sehen, aber nicht hören, betrachtet er mit großen Augen die Erwachsenen um sich herum, beobachtet ihr bisweilen irritierendes Gebaren, versucht, möglichst nicht aufzufallen. Zuwendung, Zuspruch, Zärtlichkeit sind keine Werte, die in dieser Familie – die man zweifelsohne als exemplarisch für jene Zeit betrachten darf – gelebt würden. Dazu ist jede und jeder Einzelne zu sehr damit beschäftigt, die eigene, individuelle Versehrtheit zu leugnen. Und doch erlebt Andreas immer wieder wunderbare Augenblicke in dieser gleichgültigen Welt, Momente unverhoffter Freude, Sonnenstrahlen im Alltagsgrau, die ob ihrer Seltenheit kostbar sind – und unvergesslich.

 

Die Königin von Troisdorf ist eines meiner diesjährigen Lesehighlights. In seinem Debütroman entfaltet Andreas Fischer nicht nur eine drei Generationen umfassende Familiengeschichte, sondern zugleich ein Gesellschaftspanorama des zwanzigsten Jahrhunderts. Sein Erzählstil ist nicht linear und chronologisch, sondern assoziativ: Erinnerungen eines sieben-, zwölf- oder zehnjährigen Jungen verzahnen sich mit fiktionalisierten Erzählungen über die Familie sowie Abschriften erhaltener Dokumente, Briefe, Ansichtskarten und Feldpost. Dabei gelingt es dem Autor meisterhaft, die einzelnen Passagen zu einem wirkungsvollen Gesamtbild zu montieren: einfühlsam, aber nicht sentimental, melancholisch, aber nicht larmoyant, ungeschönt, aber nicht erbarmungslos. Kurzum: ein wahrer und wahrhaftiger Ausnahmeroman!

 

[Werbung/Rezensionsexemplar. Ich danke dem Autor sowie Frau Birgit Böllinger herzlich für die kostenlose Bereitstellung dieser außergewöhnlichen Lektüre.]

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