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Angela Lehner: Vater unser

Eine Anmerkung vorweg: Ich habe das Buch nur gekauft, weil es von Angela Lehner ist, die sich – noch vor der Veröffentlichung, möchte ich betonen – mit ihren Insta-Postings und -Storys direkt in mein Herz katapultiert hat. Allerdings war ich, vermutlich genau deswegen, vor der Lektüre ein wenig beklommen. Bitte lieber Gott (Vater unser?), betete ich insgeheim, bitte mach, dass sie schreiben kann! Meine Sorge war unbegründet. Sie kann. Und wie sie kann.

Die Sprache ist lässig wie ein Schulterzucken, mit zahlreichen österreichischen Einsprengseln, die dankenswerterweise nicht als mühsam aufgetragene Lokalkolorit-Patina daherkommen, sondern einfach passen. So manches Grinsen hat mir Angela Lehners unbestreitbares Talent für Vergleiche entlockt. Da ist ein Beamter „klein und bullig wie ein Eierbecher“, die Mutter „langweilig wie ein Beutel Kamillentee“, eine Mit-Patientin hat „Ohren größer als Vorarlberg“ und der Imbiss ist „trostloser als ein dickes Kind auf einer Poolparty“. Fand ich spaßig.

Zur Handlung: Im Zentrum des Romans steht die Protagonistin und Ich-Erzählerin Eva Gruber, die aufgrund ihrer Behauptung, eine Kindergartenklasse erschossen zu haben, in die Psychiatrie eingewiesen wird. Die Behauptung war eine Lüge – und auch nicht Evas letzte – und diente einzig dem Ziel, in derselben Einrichtung untergebracht zu werden wie Evas Bruder Bernhard. Denn um ihn, den lebensbedrohlich Magersüchtigen, geht es Eva in erster Linie, darum, ihn zu „retten“. Und Eva weiß auch schon wie: Sie müssen ihren Vater umbringen, diese Wurzel allen Übels. Er ist das Geschwür, das unter der Haut schwärt: „Jedes Jahr füllt es sich mehr mit Eiter, nur um eines Tages überraschend zu platzen und den ganzen Menschen implodieren zu lassen.“

Das Buch ist dreigeteilt, jeder Teil im Sinne der Trinität jeweils mit „Vater“, „Sohn“ und „Heiliger Geist“ überschrieben. Und obwohl die drei Teile jeweils einen anderen Schwerpunkt haben, fügen sie sich zu einem stimmigen Ganzen. Während des ersten Teils, Evas „Therapie“, war ich hin- und hergerissen, ob ich Eva schütteln will und ihr sagen, sie möge sich jetzt mal bitte am Riemen reißen – oder ob ich sie nicht doch besser mit nach Hause nehme, ihr einen Teller heiße Suppe gebe und ihr sage, sie solle sich mal richtig ausschlafen. Zu Beginn des zweiten Teils (ohne zu spoilern: die Szene, in der Eva die alte Frau beobachtet, die in der prallen Sonne steht, und dann mit ihr, nennen wir es: ‚interagiert‘) war mir klar: Ich spiele im Team Eva. Auch wenn sie lügt und manipuliert, das Klinikpersonal verarscht und man als Leser*in nie weiß, was Dichtung ist und was Wahrheit, ob die geschilderten Ereignisse Wirklichkeit sind oder nur in Evas Kopf existieren. Mit der Eva als Kind, wie sie sich in ihren Rückblicken darstellt („Ich bete nicht für einen Lutscher“), wäre ich als Kind gern befreundet gewesen. Auch oder gerade weil meine Mutter diese Freundschaft höchstwahrscheinlich argwöhnisch beäugt hätte. Und die erwachsene Eva nehme ich mit heim und koche ihr Suppe. Auch Alphatiere müssen sich mal ausruhen.

Ungeachtet meiner nicht zu leugnenden Sympathie für die Autorin, kann ich schon jetzt behaupten, dass „Vater unser“ zu meinen Lesehighlights 2019 gehört. Very well done, Angela Lehner!

Und so bleiben mir zum Schluss nur eine Bitte und eine Frage:

1.) Bitte, bitte, bitte, Angela, schreib weiter!

2.) Tja, also, ähm … diese wiederholten Verweise auf sich verflüssigenden Rotz (sic!) im ersten Teil – ist das Zufall oder Fetisch?

[Werbung/unbezahlt/unbeauftragt]

 

Angela Lehner: Vater unser. Hanser Berlin 2019. 284 S.

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