„Ein Bestattungsunternehmen ist […] ein wenig wie ein letztes Hotel. Es gibt einen Fahrdienst, es gibt eine ganze Menge kühler Betten, es gibt einen Beautysalon und sogar Garderoben. Ein Restaurant hingegen gibt es nicht. Tote brauchen viel Aufmerksamkeit, aber sie beschweren sich selten übers Essen.“ (S. 24)
Verspürt ihr seit der Lektüre von Der große Sommer auch diese unbestimmte Wehmut, wenn nicht gar Entzugserscheinungen? Weil ihr viel zu schnell damit durch wart? Weil ihr gerne noch länger mit Frieder diesen „großen Sommer“ erlebt hättet? Weil ihr das Gefühl, das der Roman in euch ausgelöst hat, erhalten oder wenigstens wieder aufleben lassen möchtet?
Dann – aber natürlich nicht nur dann – ist „Ehrlich & Söhne“ vielleicht das Richtige für euch, denn er weist einige Elemente auf, die an Der große Sommer erinnern: eine große, flirrende, liebevolle Familie, ein gestrenger Professoren-Großvater und eine anbetungswürdige Großmutter und nicht zuletzt die Erinnerung an vergangene Sommer und die erste große Liebe.
Doch trotz einiger offenkundiger Parallelen erzählt Ehrlich & Söhne eine gänzlich andere Geschichte, in der das Ehrlich‘sche Bestattungsinstitut das Zentrum des Geschehens bildet. Von hier nehmen die Ereignisse ihren Lauf und dorthin streben sie auch wieder zurück. In Rückblenden entfaltet sich eine mehr als abwechslungs- und wendungsreiche Familienhistorie, die von der Flucht aus Ostpreußen in den letzten Kriegstagen über die Siebzigerjahre, jene zwischen Aussteigertum und RAF oszillierende Zeit, bis in die skurril-chaotische Gegenwart reicht. In der plagen sich der Protagonist und Ich-Erzähler Samuel, sein Bruder Johannes sowie die gesamte Sippschaft mit einem unvermutet aufgetauchten jahrzehntealten Leichnam (und dessen fachgerechtem … nun ja, „Verschwinden“), sie geraten ins Visier eines ehemaligen Terroristen, der auf seine alten Tage nichts von seiner kriminellen Energie eingebüßt hat, und müssen den Tod der geliebten Großmutter verarbeiten. Dass die beiden Ehrlich-Söhne wiederholt den unbezwingbaren Drang verspüren, sich mit den unternehmenseigenen Leichenwagen Autorennen zu liefern (zum Unmut eines gebeutelten Verkehrspolizisten), macht die Situation auch nicht einfacher. Ach ja, und dann ist da auch noch die Liebe …
Ewald Arenz gelingt es wie wohl kaum einem Zweiten, diese Fülle an Ereignissen, die verschiedenen Zeitebenen und unterschiedlichen Emotionen so gekonnt zu verbinden, dass die Handlung trotz der Zeitsprünge und Perspektivwechsel niemals verworren, unübersichtlich oder abschweifend erscheint. Im Gegenteil: Der Erzählfluss gleitet so geschmeidig dahin, dass ich mich nur allzu gern mit ihm treiben ließ. Mein Fazit: ein wunderbarer Roman, der Nachdenklichkeit und Humor, Feinsinnigkeit und Melancholie in sich vereint. Berührend, komisch – und nicht selten beides zugleich. Große Leseempfehlung!
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Ewald Arenz: Ehrlich & Söhne. dtv 2017, 424 S.
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