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Kate Atkinson: Die vierte Schwester

Ein aus dem elterlichen Garten verschwundenes dreijähriges Mädchen.

Eine verschwundene schwarze Katze.

Ein ungeklärter Mord an einer jungen Frau.

Ein junger Ehemann mit gespaltenem Schädel.

 

Diese zum Teil Jahrzehnte auseinander liegenden Fälle finden, jeder auf seine Weise, ihren Weg zu dem ehemaligen Polizisten und jetzigen Privatdetektiv Jackson Brodie. Die Schwestern Amelia und Julia beauftragen ihn, endlich den Fall ihrer vor mehr als dreißig Jahren verschwundenen kleinen Schwester Olivia aufzuklären. Denn nach dem Tod ihres ungeliebten und desinteressierten Vaters stoßen sie unversehens auf „Blaue Maus“, Olivias Kuscheltier, das damals mit ihr verschwand – zumindest dachten sie das. Parallel bittet ihn der pensionierte Rechtsanwalt Theo, den gleichermaßen ungeklärten – überdies unerklärlichen –, zehn Jahre zurückliegenden Mord an seiner geliebten Tochter Laura zu untersuchen. Damals stürmte ein Mann in einem gelben Golfpullover in Theos Kanzlei, in der Laura ein Praktikum machte, und tötete die junge Frau. Und sie scheint ein Zufallsopfer zu sein, denn eigentlich hatte der Anschlag doch Theo gegolten (oder?). Tja, und dann ist da noch die schrullige Binky, die in ihrem heruntergekommenen Haus unzählige Katzen beherbergt, von denen jetzt eine fehlt. Und wer soll sie suchen (und vor allem finden)? Klar, Jackson.

 

So wenig Hoffnung auf Erfolg auch bestehen mag, Jackson nimmt sich all dieser Fälle, wenngleich mit unterschiedlichem Elan, an. Dabei ist er selbst gerade mehr als schlecht zurecht: Dieser eine doofe Zahn pocht und schmerzt und will damit nicht aufhören, seine Exfrau Josie gedenkt, mit der gemeinsamen Tochter und ihrem neuen Partner ans andere Ende der Welt zu ziehen, und überhaupt wäre Jackson viel, viel lieber in Südfrankreich als in Cambridge, dieser elenden Stadt, in der es „besonders viele Verrückte zu geben [scheint]“ und die vor Akademikern nur so wimmelt (Und Jackson weiß, was das Problem mit Akademikern ist: „Nie sind sie in der Lage zu sagen, was sie meinen, und die Hälfte der Zeit meinen sie nicht, was sie sagen“.)

 

Kate Atkinsons Roman Die vierte Schwester ist – falls jemandem die Geschichte irgendwie bekannt vorkommen sollte – bereits 2004 erschienen und erscheint jetzt neu bei DuMont. Der Einstieg in den Roman fordert von seinen Leser*innen ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit, beginnt er doch nicht nur mit einer, sondern gleich drei Vorgeschichten. Doch die Aufmerksamkeit lohnt sich aus meiner Sicht in jedem Fall, ebenso wie die Lektüre insgesamt: Die Figuren sind originell, spleenig, skurril, liebenswert – und nicht selten alles zugleich. Der Protagonist ist hinreißend grumpy und bei aller Desillusion irgendwie doch unheilbar hoffnungsvoll. Die Fälle, mit denen er sich nolens, volens befasst, konnten mich ebenfalls fesseln: Schicht für Schicht, wie bei dem sprichwörtlichen Häuten der Zwiebel, eröffnen sich ungesehene Zusammenhänge und offenbaren sich ungeahnte Geheimnisse.

Der größte Pluspunkt ist aus meiner Sicht jedoch die Sprache (aus dem Englischen von Anette Grube): klug und bisweilen unterschwellig komisch, teils nachdenklich, teils unzensiert, teils lakonisch – aber immer irgendwie „schön“. Und wenn man das über einen Krimi (!) sagen kann, dann ist das, denke ich, schon eine Menge wert. Deshalb gibt es von mir auf jeden Fall eine Leseempfehlung!

 

[Werbung/Rezensionsexemplar. Ich danke dem DuMont Buchverlag und NetGalley herzlich für das mir kostenlos zur Verfügung gestellte E-Book.]

 

Kate Atkinson: Die vierte Schwester. Aus dem Englischen von Anette Grube. DuMont 2021 (E-Book)

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