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Charlotte McConaghy: Zugvögel

Es ist bei mir immer so eine Sache mit Büchern, die von vielen gelobt werden. Je mehr positive Rezensionen ich lese, umso größer ist meine Erwartung an das Buch.

Und manchmal ist sie dann vielleicht so groß, dass wohl kaum ein Buch sie erfüllen kann. Charlotte McConaghys Buch Zugvögel (aus dem Englischen von Tanja Handels) ist ein solch vielgepriesenes und hochgelobtes Buch, meine Erwartung war dementsprechend groß. Und ich nehme vorweg: Es hat mich nicht enttäuscht, im Gegenteil. Ich bin so, so, so angetan!

 

Und darum geht es:

Es ist eine dystopieartige und zugleich erschreckende Welt, in der die Protagonistin Franny, eine junge Frau mit „Selkie-Blut“ in den Adern und „einem Kompass im Herzen, der nicht auf den wirklichen Nordpol, sondern aufs Meer ausgerichtet ist“, lebt. Alle wildlebenden Tiere sind weitestgehend ausgestorben, die Meere nahezu leergefischt, kein Vogel zieht seine Bahnen am Himmel. In dieser beklemmenden Wirklichkeit verfolgt Franny einen, wie sie es nennt, unmöglichen, einen närrischen Traum: Sie will die letzten drei Küstenseeschwalben auf ihrem Zug von Grönland in die Antarktis begleiten. Es gelingt ihr, Ennis, den Kapitän eines Fischkutters (ausgerechnet!) zu überzeugen, sie in seine Crew aufzunehmen und mit ihr an den Südpol zu reisen – was die übrigen Crewmitglieder nicht gerade mit Begeisterung erfüllt. Einzig die Hoffnung, dass die Küstenseeschwalben das Fischerboot zu bislang unbekannten Fischgründen, die Hoffnung auf den „goldenen Fang“ lässt sie Franny zähneknirschend in ihrer Mitte akzeptieren.

Was die Besatzung indes nicht weiß und was sich auch den Leser*innen erst nach und nach offenbart, ist, dass Franny eine äußerst bewegte Lebensgeschichte aufweist, dass sie nicht so ganz das ist, was sie zu sein scheint – und dass sie mit der Reise der Zugvögel auch eine ganz persönliche Mission verfolgt.

 

Selten hat mich Roman so in seinen Bann gezogen wie Zugvögel. Das Buch erinnert in mancherlei Hinsicht an Delia Owens' Der Gesang der Flusskrebse: eine nicht alltägliche, sehr spezielle Frauenfigur mit einer ebenso wenig alltäglichen Lebensgeschichte, ein sehr naturbezogenes Setting, eine sehr berührende, eindringliche Sprache – das haben beide Romane gemeinsam. Und doch ist Zugvögel bei aller Ähnlichkeit eine einzigartige und einzigartig erzählte Geschichte, der es gelingt, den Finger in die Wunde zu legen (Was tun wir nur unserem Planeten an?), ohne ihn dabei zu erheben, ohne aufdringlich missionieren zu wollen.

 

Zugvögel ist eine herzergreifende Geschichte mit großen Denkanstößen. Es ist für mich eines meiner absoluten Lesehighlights des Jahres, wenn nicht sogar das Lesehighlight überhaupt. Ich kann euch die Lektüre nur aller-aller-wärmstens ans Herz legen!

Ach ja: Für das Ende empfehle ich, vorsichtshalber Taschentücher bereitzuhalten.

 

[Werbung/Rezensionsexemplar. Ich danke NetGalley und dem S. Fischer Verlag für die kostenlose Bereitstellung des E-Books.]

 

Charlotte McConaghy: Zugvögel. Aus dem Englischen von Tanja Handels. S. Fischer Verlag 2020. 400 S.

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