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Haruki Murakami: Gefährliche Geliebte

„Da Erinnerungen und Sinneseindrücke so ungewiß sind, so vielen Einflüssen unterliegen, beziehen wir uns, um uns die Realität von Ereignissen zu beweisen, stets auf eine parallele Realität – nennen wir sie Meta-Realität. Inwieweit Tatsachen, die wir als solche anerkennen, wirklich so sind, wie sie uns erscheinen, und inwieweit sie nur darum Tatsachen sind, weil wir sie zu solchen erklären, läßt sich unmöglich entscheiden.“ (S. 206)

Was ist wirklich? Was ist Einbildung? Ein Traum? Eine Sinnestäuschung? Das sind die Fragen, die ich mir, wie so oft während und nach der Lektüre eines Romans von Haruki Murakami, auch bei diesem Buch gestellt habe. Und darum geht es:

Hajime ist in der fünften Klasse, als er Shimamoto zum ersten Mal sieht. Sie ist klug und hübsch, und sie ist ebenso Einzelkind wie Hajime, das hebt die zwei eklatant von allen KlassenkameradInnen ab. Die Kinder freunden sich an, verbringen ihre Freizeit miteinander, Hajime ist von diesem außergewöhnlichen Mädchen, das ein Bein nachzieht, fasziniert, und ja, er ist auch ein bisschen verliebt. Als beide auf unterschiedliche weiterführende Schulen wechseln, bricht der Kontakt ab, sie verlieren einander aus den Augen. Doch wirklich vergessen kann Hajime Shimamoto nicht. Daran hat sich auch nach zwanzig Jahren nichts geändert. Hajime hat mittlerweile einer anderen das Herz gebrochen und wieder eine andere geheiratet. Er liebt seine Frau, seine Kinder, seinen Job. Alles könnte perfekt sein. Doch dann taucht eines Abends Shimamoto in Hajimes Jazz-Club auf… 

 

Shimamoto besucht Hajime in unregelmäßigen Abständen; stets regnet es, stets ist sie allein, stets höchst elegant gekleidet: eine beinahe überirdische Erscheinung. Sie gibt so gut wie nichts von sich preis, doch Hajime kann sich ihr immer weniger entziehen, er ist fasziniert, ja, gebannt von seiner einstigen Jugendliebe. Doch je häufiger Shimamoto Hajime besucht, umso mehr fragte ich mich, ob es sich tatsächlich um Besuche – oder nicht vielmehr um eine Heimsuchung handelt. Murakami versteht es meisterhaft, Realitätsebenen zu verschieben. Was scheinbar offensichtlich ist, wird mit fortschreitender Lektüre diffus und obskur, bis man sich am Ende fragt: Was ist wirklich ‚wirklich‘? 

Ganz große Leseempfehlung!

 

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Haruki Murakami: Gefährliche Geliebte. Aus dem Englischen von Giovanni Bandini und Ditte Bandini. btb Verlag 2002. 218 S.

 

 

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