· 

Niklas Natt och Dag: 1793 / 1794 (Rezension)

Es ist eine düstere Welt, dieses Stockholm des ausgehenden 18. Jahrhunderts, ein Kosmos voller Hunger und Grausamkeit, Hunger und Erbarmungslosigkeit, eine Welt, in der die Adligen, Reichen und Mächtigen feiern und sich skrupellos ihren Ausschweifungen hingeben, während die Armen, Kranken und Ausgestoßenen um ihr Überleben kämpfen. In den Kulissen dieser Stadt der Gegensätze entwirft der Autor Niklas Natt och Dag zwei Krimi- bzw.Thriller-Szenarien, die blutrünstig, finster und gruselig, streckenweise leider aber auch langatmig, zäh und bisweilen zusammenhanglos erzählt sind.

In dieser Stadt der Gegensätze treffen der versoffene Kriegsveteran Jean Michael Cardell und der fein- und scharfsinnige, leider aber auch schwindsüchtige Jurist Cecil Winge 1793 aufeinander, um gemeinsam einen Mordfall aufzuklären. In der Stadtkloake wurde der entsetzlich entstellte Leichnam eines Mannes gefunden. Es gibt keine Hinweise auf seine Identität, es steht außer Zweifel, dass der Mörder vor keiner Grausamkeit zurückschreckt, und doch machen sich die beiden auf die Suche nach dem Mörder. Dabei sind Cardells aufbrausendes Temperament und Winges zusehends schwächer werdende Konstitution alles andere als hilfreich. Zwar gelingt es ihnen letztlich, den Täter ausfindig zu machen – und nebenbei eine junge Frau vor dem sicheren Tod zu bewahren –, doch das bedeutet noch lange nicht automatisch ein Happy End. 1793 ist in vier an den Jahreszeiten orientierten Teilen erzählt, allerdings nicht linear, sondern teilweise in Rückblenden und aus unterschiedlichen Perspektiven. So ergeben sich vier Handlungsstränge, die zwar alle miteinander zusammenhängen und am Ende auch zusammengeführt werden, allerdings erzählerisch nicht besonders elegant, wie ich leider sagen muss. Der Erzählfluss wirkt zersplittert und sprunghaft; überdies wird die Handlung an manchen Stellen doch sehr in die Länge gezogen, da hätte aus meiner Sicht so manche Straffung gutgetan. Nichtsdestotrotz fesselte mich die Story als Ganzes durchaus, die Atmosphäre ist unvergleichlich, die beiden Hauptfiguren sind auf erfrischende Weise sperrig und kantig. Lesenswert? Nun, vielleicht nicht als allein stehendes, eigenständiges Werk, auf jeden Fall aber als Vorgeschichte zum Nachfolger 1794.

Die Mordermittlungen 1793 verliehen Cardell so etwas wie neuen Lebensmut – das Hochgefühl ist allerdings nicht von langer Dauer. Überhaupt ist alles, was im Jahr zuvor wenigstens ein bisschen Hoffnung auf den letztlichen Sieg des Guten machten, 1794 verflogen. Doch der Reihe nach, denn bevor sich die Geschichte Cardell und einem neuen Mordfall zuwendet, führt sie die Leser*innen zunächst in ein Spital. Von dort berichtet der anfänglich namenlose Ich-Erzähler, der das Glück hat, dort untergebracht zu sein und nicht in dem entsetzlichen ‚Irrenhaus‘ gegenüber, wie er dorthin gelangte, von seinem Leben als ungeliebter zweiter Sohn eines Gutsherrn, einer Reise in die schwedische Kronkolonie in der Karibik, er erzählt von Sklavenschiffen und einem dämonischen Plantagenbesitzer – und von seiner großen Liebe, von der ihn auch der Standesunterschied nicht abzubringen vermag. Das junge Glück ist von äußerst kurzer Dauer, sein jähes Ende ruft erneut das bekannte – oder doch nicht so bekannte? – Ermittler-Duo Cardell/Winge auf den Plan.

Wie schon 1793 ist auch der Folgeband in vier Teilen erzählt, die in altbekannter Manier auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben, letzten Endes aber zusammengeführt werden. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich durch die Lektüre von 1793 bereits darauf vorbereitet war, doch dieses Mal erschien mir der Erzählfluss trotz der Handlungs- und Perspektivensprünge flüssiger und runder als im Vorgängerroman. Auch konnte mich diese Geschichte bedeutend mehr fesseln als die davor, auch wenn (oder vielleicht gerade, weil?) ein Hauch von Django Unchained und The Sixth Sense hindurchwehen. 

Und so lautet mein Fazit für beide Romane: Als Double-Feature durchaus eine Lektüre wert, wenn einem nach historischem Krimi zumute ist, aber leider kein „Must Read“.

 

Niklas Natt och Dag: 1793. (Winge und Cardell ermitteln 1). Übersetzt von Leena Flegler. Piper Verlag 2019. E-Book.

Niklas Natt och Dag: 1794. (Winge und Cardell ermitteln 2). Übersetzt von Leena Flegler. Piper Verlag 2020. E-Book.

 

[Werbung wg. Verlinkung/Rezensionsexemplar. Ich danke Netgalley.de und dem Piper Verlag für die kostenlose Bereitstellung des E-Books 1794(1793 habe ich, gleichsam als Vorbereitung, selbst gekauft)


ANZEIGE

ANZEIGE

Meine Produkt- und Buchbesprechungen erfolgen rein individuell und unabhängig. 

Allerdings erhalte ich über den sogenannten Affiliate-Link beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler.



Kommentar schreiben

Kommentare: 0