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Jeannette Walls: Schloss aus Glas

Wo hört Freiheit auf und fängt Verwahrlosung an?

Das Leben der Walls-Kinder verläuft alles andere als gewöhnlich. Die Ich-Erzählerin kann mit drei Jahren schon lesen, muss sich aber auch die Würstchen für ihre Hot Dogs selbst kochen. In dem Wohnwagen, den sie mit ihren Eltern und zwei Geschwistern bewohnt, „in einem Wohnwagenpark in irgendeiner Stadt, irgendwo in Südarizona“. Ein Unterfangen, das mit einer Hauttransplantation endet …

Ihre Mutter versucht sich abwechselnd als Malerin und Romanautorin, verachtet Kaugummikauen, diese „widerliche Angewohnheit der Unterschicht“, doch
„wenn wir Mom nach etwas zu essen fragten (…), zuckte sie nur mit den Achseln und sagte, sie könnte nichts aus der Luft herbeizaubern“. Und dann gibt es halt mal drei Tage lang Popcorn. Oder Margarine mit Zucker. Oder gar nichts.

Ihr geliebter Vater, „ein sehr dramatischer Geschichtenerzähler“, der, wie Mom stolz sagt, das Blaue vom Himmel herunterlügen kann, hält es nie lange in einem Job aus, und dann türmt die ganze Familie vor ihren Gläubigern:

„Manchmal gewann er beim Glücksspiel oder verdingte sich als Gelegenheitsarbeiter. Wenn er sich dann langweilte oder rausgeschmissen wurde oder wenn sich die unbezahlten Rechnungen türmten, (…) packten wir mitten in der Nacht unsere Sachen und machten uns aus dem Staub (…).“

 Doch andererseits ist Dad ihr Held, ein großer Träumer, der seiner Familie ein Schloss aus Glas verspricht – wenn er erst einmal Gold gefunden hat, um den Bau zu finanzieren, versteht sich.

Und als Leser fragt man sich die ganze Zeit: Ist das jetzt noch Bohème oder schon Vernachlässigung? Der Grat ist schmal.

Das Buch erinnert in vielerlei Hinsicht an „Ein Baum wächst in Brooklyn“, und wer jenes mochte, dem wird gewiss auch dieses gefallen.

Die hier vorgestellte Ausgabe ist in der Reihe der Atlantik Bücher bei Hoffmann und Campe erschienen. Sie ist optisch und haptisch sehr ansprechend, allerdings für Leser, die wie ich zur Kurzsichtigkeit neigen, aufgrund der kleinen Schrift nur mit Lesebrille zu empfehlen: #augenpulver. Nichtsdestotrotz auf jeden Fall lesenswert.

Schloss aus Glas wurde übrigens im vergangenen Jahr mit Naomi Watts und Woody Harrelson verfilmt. Und obwohl ich Literaturverfilmungen stets ein wenig skeptisch gegenüberstehe (allzu oft decken sich die Bilder in meinem Kopf nicht mit den Bildern des Films), so finde ich diese Verfilmung ausgesprochen gelungen. Wer den Film anschaut: Bitte unbedingt den Abspann mitgucken, dort gibt es eine kleine Dokumentation über die Autorin und ihre Familie. (Trailer siehe unten)

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