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Delphine de Vigan: Die Kinder sind Könige

Nichts wünscht sie sich sehnlicher, als berühmt zu werden. Bekannt. Begehrt. Bewundert. Und: geliebt. Denn das ist es doch, was Berühmtheit bringt, oder nicht? Mit dem Aufkommen neuer Fernsehformate wie Big Brother scheint Mélanies Traum zum Greifen nah: Um im Reality-TV durchzustarten, bedarf es weder einer Modelfigur noch ausgeprägter Talente. Ihr erster Versuch scheitert kläglich; Mélanie ist, wie es scheint, nicht schön genug, nicht sexy genug, nicht extrovertiert genug, einfach: „nicht genug“. Das ändert sich, als Mélanie Mutter zweier entzückender Kinder wird – und entdeckt, dass ein süßes kleines Mädchen und ein aufgeweckter kleiner Junge in jeglicher Hinsicht „genug“ sind, und sogar mehr als das. Innerhalb kurzer Zeit wird Mélanie dank der – immer professioneller gestalteten – Videos und Storys ihrer Kleinen zu einer der bekanntesten und (einfluss-)reichsten „Momfluencerinnen“ Frankreichs. Endlich ist sie am Ziel ihrer Träume. Endlich ist sie bekannt. Endlich ist sie berühmt. Endlich wird sie von allen bewundert und geliebt … Von allen? Mit der Berühmtheit kommen die ersten kritischen Stimmen. Denn ausgerechnet ihre kleine Tochter Kimmy, der Star ihres YouTube-Kanals, wirkt immer lustloser, immer unwilliger, immer – unglücklicher. Und eines Tages ist Kimmy verschwunden …

 

Mit Die Kinder sind Könige (aus dem Französischen von Doris Heinemann) nimmt die wie stets großartige Delphine de Vigan sich eines ebenso aktuellen wie brisanten Themas an: der kommerziellen Vermarktung, um nicht zu sagen Ausbeutung, von Kindern im Netz an. Dabei beweist sie nicht nur eine bemerkenswert scharfe Beobachtungsgabe, sondern spinnt den nur allzu realistischen Erzählfaden weiter in die Zukunft: Was wird einst aus diesen Kindern, deren Aufwachsen sich unter einem alles aufzeichnenden Auge und unter den Blicken von Millionen vollzogen hat? Wie entwickeln sie sich, wenn nahezu jedermann sie kennt? Kurzum: Was ist der Preis, den sie zahlen? Er ist, so viel sei verraten, astronomisch, denn:

 

„Nie werden all die Blicke abgewaschen sein, die sie durch einen Bildschirm hindurch beschmutzt, abgenutzt und beschädigt haben.“

 

Fazit: Ein großartiger, kluger Roman, der bereits jetzt zu meinen Lesehighlights des Jahres gehört.

 

[Werbung/Rezensionsexemplar. Ich danke dem DuMont Verlag und NetGalley für das mir kostenlos zur Verfügung gestellte E-Book.]

 

Delphine de Vigan: Die Kinder sind Könige. Aus dem Französischen von Doris Heinemann. DuMont 2022. (E-Book)

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