Nach langer Zeit habe ich mal wieder ein Buch abgebrochen. Es tut mir immer aufrichtig für die Autor*innen leid, wenn mich ein Buch nicht überzeugen kann. Der Klappentext des Romans Charming Boy von Guido Eckert klang zunächst sehr vielversprechend:
„Sebastian Heiter, ein junger, charmanter Redakteur bei einer Berliner Tageszeitung, erwirbt sich schnell den Ruf, ein skrupelloser Hacker zu sein. Allerdings scheint er es nicht nur auf die nächste große Story, sondern auch auf die privaten Gedanken seiner Kollegen abgesehen zu haben – er hackt ihre Computer und Handys, handelt manipulativ und genießt die Macht. Dann beginnt er eine Affäre mit einer Kollegin, die nichts von alldem ahnt. Als sie ihm auf die Schliche kommt, beginnt ein lebensgefährliches Spiel …“
Nun, so weit bin ich gar nicht erst gekommen, und das hatte zwei maßgebliche Gründe:
- Die Figuren. Der Protagonist wird von der ersten Zeile an so unsympathisch dargestellt, dass ich a) nicht mit ihm warmwurde, und b) als Leserin kaum nachvollziehen konnte, wie er von seinen
Kolleg*innen als „junger, charmanter Redakteur“ wahrgenommen werden kann. Die anderen Figuren bleiben ziemlich blass und sind, leider, so eindimensional gezeichnet, dass keine von ihnen für mich
wirklich greifbar war.
- Der Sprachstil. Eine Anmerkung vorweg: Ein Kriminalroman sollte für mich in erster Linie unterhaltsam und spannend sein. Die Sprache spielt für mich dabei eine eher untergeordnete Rolle; sie darf gerne etwas einfacher, meinetwegen an der einen oder anderen Stelle auch ein wenig ungelenk sein. Solange die Story stimmt, kann ich sehr gut darüber hinwegsehen. Doch bei „Charming Boy“ war meine persönliche (!) Schmerzgrenze leider nach einem guten Viertel überschritten.
Insbesondere auf den zweiten Punkt möchte, nein, muss ich etwas näher eingehen, damit ihr wisst, was ich meine:
- Da sind beispielsweise knirschende Vergleiche und Metaphern, wie:
„Die Adern seiner freigelegten Unterarme pulsieren wie Kabel unter seiner Haut.“
(Pulsierende Kabel??!). - Oder grammatisch fragwürdige, wenn nicht gar schlichtweg falsche Formulierungen, z. B.:
„An der Zimmerdecke dreht ein weißer Plastikventilator einsam seine Runden“
(Obacht: „seine Runden drehen“ ist nicht identisch mit „sich im Kreise drehen“ …) oder
„Er erinnert seinen Vater bei einem Kindergeburtstag“
(gemeint ist: „Er erinnert sich an seinen Vater …“) - Bisweilen trifft auch das eine auf das andere:
„Die verhangene Sonne vergießt ihre Wohltaten wie ein Karnevalsprinz über den Berufsverkehr.“
(Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll …)
Ich schließe keineswegs aus, dass der Abbruch der Lektüre nicht an dem Buch, sondern an mir lag, weil ich eine sprachlich versnobte Lektorin mit überzogenen Erwartungen bin. Ebenso wenig schließe ich aus, dass mir deswegen möglicherweise eine wirklich gute, spannende Kriminalstory entgangen ist. Doch leider konnte meine Neugier auf den Fortgang der Handlung die von mir als solche empfundenen Mängel nicht aufwiegen. Aber vielleicht möchtet ihr euch ja euer eigenes Bild machen?
[Werbung/Rezensionsexemplar. Ich danke selbstverständlich trotzdem dem Gmeiner-Verlag und NetGalley für das mir freundlicherweise kostenlos zur Verfügung gestellte E-Book.]
Guido Eckert: Charming Boy. Kriminalroman. Gmeiner-Verlag 2020. 310 S.
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