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Männer schreiben für Männer, Frauen für Frauen?

Die Süddeutsche Zeitung hat eine Romanreihe mit dem Titel Soulmates herausgebracht. 10 Hardcover-Bände im Schuber, hübsch anzusehen, keine Frage. Das Besondere (?): Es handelt sich ausschließlich um Romane männlicher Autoren, darunter Philipp K. Dick (Blade Runner), F. Scott Fitzgerald (Der große Gatsby) und Nikos Kazantzakis (Alexis Sorbas). Die Intention und Auswahl wird vom Verlag wie folgt erläutert:

 

„Weit über den Archetypus des Kriegers, des Liebhabers oder Weisen hinaus ist die Rolle in der Welt, die erlebt, erschaffen oder zerstört wird, sehr komplex. Themen entwickeln sich emotional, von Kampf und Anarchie über Abenteuerromantik bis zu Liebe, Sehnsucht und Verzweiflung. Universale Wahrheiten werden durchlebt in diesen Welten der Wildheit und der Lebensfreude, zwischen Packeis und Androiden, mit Beziehungen und am Ende allein in der Erinnerung.“

Ungeachtet des gänsehauterzeugenden Pathos dieser Zeilen drängt sich der Eindruck auf, da wird Literatur ‚von Männern für Männer‘ zusammengestellt und verkauft. Darf ‚man‘ das??! Bzw.: Darf man das, ohne parallel ein weibliches Pendant herauszugeben? Und wenn wir schon dabei sind: Was ist mit all jenen, die sich weder als weiblich noch als männlich begreifen? Was ist mit Kindern, Senior*innen, Migrant*innen und, und, und? Bräuchte es, um der Mannigfaltigkeit unserer Spezies und unserer Gesellschaft gerecht zu werden, nicht unzählige Schuber? Tatsächlich habe ich mir zu diesem Thema auf diesem Blog schon einmal meine Gedanken gemacht (interessanterweise vor ziemlich genau einem Jahr), allerdings habe ich meine Überlegungen auf Frauen beschränkt. Und wie es scheint, kann man auch nach einem Jahr weiterhin mit Fug und Recht fragen: Wo sind sie, die Literatinnen? Wenn man sich an der genannten SZ-Edition orientiert, lautet die Antwort: zumindest nicht in dieser Anthologie.

Doch wie sehr wird diese männliche Romanreihe öffentlich wahrgenommen? Ich muss gestehen, dass diese Edition komplett an mir vorbeigegangen wäre, hätte es nicht diesen lesenswerten Beitrag von Nicole Seifert auf ihrem – übrigens insgesamt überaus lesens- und empfehlenswerten – Blog und das dazugehörige Posting auf Instagram gegeben. Und so habe ich spontan eine kleine Umfrage im Freundeskreis gestartet, wer bereits von Soulmates gehört hat (an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle, die mir so rasch und bereitwillig geantwortet haben!). Selbstverständlich nicht repräsentativ, aber dennoch interessant, denn die Antworten haben mich, ehrlich gesagt, nicht überrascht. Von allen, die geantwortet haben, kannte die Reihe: keine*r. Anders auf Instagam. Dort finden sich unter dem Hashtag #autorinnenschuber zahlreiche Postings, die sich damit befassen, wie ein weibliches Pendant – das Seiferts Recherchen zufolge im Übrigen seitens der SZ nicht geplant ist – aussehen könnte. Ebenso finden sich Beiträge, die sich kritisch mit diesem Gegenentwurf auseinandersetzen. Und je mehr ich darüber lese, umso schwieriger finde ich es, eine eindeutige Position zu beziehen. Die Gegenüberstellung von Männern und Frauen, von ‚Männerliteratur‘ und ‚Frauenliteratur‘ hat etwas Polarisierendes, Spaltendes, keine Frage. Andererseits ist es ebenso Fakt, dass Frauen in der Literatur, im Feuilleton, in der Reihe von Literaturnobelpreisträger*innen … (man könnte die Reihe endlos fortsetzen; auch dazu empfehle ich von Herzen die Artikel von Nicole Seifert) unterrepräsentiert sind.  

Polarisierung kann keine Antwort sein, aber muss man einen „Autorinnenschuber“ denn gleich als Ausdruck der Polarisierung begreifen? Kann es nicht einfach eine Bereicherung, ein anderer Blickwinkel sein? Und letztlich bleibt uns Leser*innen ja immer noch der freie Wille: Allein, dass der „Männerschuber“ existiert, bedeutet nicht automatisch, dass man ihn auch kaufen muss. Und wenn man ihn kaufen will: so what?! Ungeachtet der (richtigen und wichtigen) Diskussion finde ich die Frage, welche zehn Autorinnen bzw. welche zehn Werke weiblicher Autorinnen ein solcher „Autorinnenschuber“ enthalten könnte/sollte/müsste, sehr spannend. Und hier kommt meine ganz persönliche Auswahl. Ich kann alle genannten Autorinnen und Werke von Herzen empfehlen, einige davon habe ich auch schon hier auf dem Blog rezensiert:

 

Simone de Beauvoir: Die Mandarins von Paris

Charlotte Brontë: Jane Eyre

Joan Didion: Das Jahr des magischen Denkens

Siri Hustvedt: Die Leiden eines Amerikaners

Harper Lee: Wer die Nachtigall stört

Alice Munro: Zu viel Glück

Irène Némirovsky: Suite française

Dorothy Parker: New Yorker Geschichten

Betty Smith: Ein Baum wächst in Brooklyn

Wislawa Szymborska: Wiersze wybrane (=Ausgewählte Gedichte)

 

Und eigentlich müsste ich mich an dieser Stelle sogleich selbst kritisieren, denn die Amerikanerinnen sind eindeutig überrepräsentiert, wirkliche Diversität gibt meine Auflistung auch nicht her. Tatsächlich hätte ich diese Reihe schier endlos fortsetzen können. Mit Yasmina Reza. Amélie Nothomb. Jeannette Walls. Donna Tartt. Margaret Atwood. Marie NDiaye. Juli Zeh. Damit hätte sich das Gewicht ein kleines bisschen von den USA weg verlagert, aber eben doch nur ein kleines bisschen, einen echten Rundumschlag/Überblick über die weibliche Weltliteratur hätte ich damit auch nicht geschaffen. Letztich gelange ich zu der Feststellung, dass Lesen ein überaus subjektives Vergnügen ist. Die Auswahl richtet sich nach dem individuellen Geschmack, sicherlich aber auch nach den Büchern, die einem vermehrt ins Auge springen, die häufiger besprochen werden, die eher den Weg ins öffentliche Bewusstsein erlangen, kurz: die einfach präsenter sind. Aber letzten Endes zählt für mich in erster Linie die Freude, die Bücher mir schenken - egal, ob sie von Männern oder Frauen, von Amerikanerinnen oder Franzosen, von Jungen oder Alten geschrieben sind. 

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