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Juli Zeh: Neujahr

Endlich ausgelesen! Zu Juli Zehs jüngstem Roman gibt es ja recht unterschiedliche Meinungen. Hier kommt meine:
So atemlos, fast fiebrig, wie der Protagonist Henning im Familienurlaub auf Lanzarote am Neujahrsmorgen den Berg auf einem geliehenen Mountainbike erklimmt, habe ich die erste Hälfte des Romans gelesen. Während Henning sich abmüht, denkt er über sein Leben nach, die beiden kleinen Kinder, die Ehefrau, mit der er ganz gerecht alle Pflichten teilen wollte - und über seine eigene Befindlichkeit, die immer knapp am Burnout, kurz vor der totalen Erschöpfung und dem Gefühl, den Alltag bald nicht mehr bewältigen zu können entlangschrammt. Hennings Leben pendelt irgendwo zwischen ‚eigentlich‘ und ‚irgendwie‘, eigentlich geht es ihm doch gut und irgendwie bekommt er ja auch alles hin. Aber er lebt nicht - oder nicht mehr - ‚wirklich‘ oder ‚tatsächlich‘:
Für Henning ist das Leben zu einer Aneinanderreihung von inneren Zuständen geworden, schlechten, sehr schlechten und halbwegs guten. Schönes Wetter und berufliche Erfolge betreffen ihn nicht mehr. Alles Kulisse.“ (S. 38)
Ich fand es faszinierend, diese Gedanken und Gefühle einmal aus männlicher Sicht geschildert zu bekommen, und stellte mir unweigerlich die Frage, wie viele Väter in meinem Umfeld ähnlich empfinden mögen, ohne es zuzugeben. Henning könnte ein Nachbar sein, ein Arbeitskollege, der Mann der besten Freundin ...
Die Metaphorik fand ich zwar zugegebenermaßen etwas zu vordergründig - Henning kämpft sich einen Berg hinauf und ist dafür eigentlich (!) nur unzureichend gerüstet (das Mountainbike ist nicht optimal, er hat keine Verpflegung eingepackt und Wasser hat er auch vergessen), irgendwie (!) schafft er es aber doch -, aber sie passt einfach zu gut.
Dann setzt der zweite Teil ein, der (keineswegs grundlos) von einigen kritisiert wurde. Henning - so viel darf verraten werden, ohne zu viel zu verraten - erinnert sich an seine Kindheit, genau genommen an ein einschneidendes Erlebnis. Ich kann die Kritiker verstehen, die mit diesem zweiten Teil etwas „fremdeln“, aber ich halte ihn nicht für vollkommen misslungen. Was mir indes wirklich aufgestoßen ist, ist die Wendung, mit der Juli Zeh diesen zweiten Teil einleitet. Ohne jenen, die das Buch noch nicht kennen, zu viel verraten zu wollen: Diese Nummer hätte ich eher bei einem Kate-Morton- oder Lucinda-Riley-Schmöker erwartet (und sie dort auch verziehen), aber, sorry, nicht bei Juli Zeh! Zumal es dieser literarischen Kapriole aus meiner Sicht auch nicht zwingend bedarf, um Hennings halbverschüttete Erinnerung wachzurufen ...
Mein Fazit: Mir hat das Buch - trotz besagter ‚Kapriole‘ - ausgesprochen gut gefallen, wenngleich es meiner Meinung nach nicht an Unterleuten heranreicht.
(alle Cover- und Klappentextrechte liegen selbstverständlich beim Verlag)

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