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Stefan Zweig: Rausch der Verwandlung

Was ist schlimmer: arm zu sein und zu bleiben oder wenigstens kurz den Geschmack des Reichtums zu erleben – und dann doch wieder in die ursprüngliche Armut zurückzufallen?

 

Ein österreichisches Dorf im Sommer 1926. Das Leben der Postangestellten Christine verläuft in vorgezeichneten (freudlosen) Bahnen. Da erreicht sie ein Telegramm einer – äußerst vorteilhaft verheirateten – Tante, die Christine einlädt, die Ferien mit ihr und ihrem Mann im Engadin zu verbringen. Anfänglich eingeschüchtert von der mondänen Atmosphäre des Urlaubsortes und der Weltläufigkeit von Tante und Onkel, beginnt Christine schon bald, den neuen Luxus zu genießen und sich an das Leben in dieser „Welt ohne Arbeit, ohne Armut“ zu gewöhnen. 

 

„Aber ist sie nicht wirklich schon eine andere geworden in diesen wenigen Tagen, hat nicht tatsächlich die Hochalpenluft andern Druck in ihre Adern geschraubt, die reichlichere, üppigere Nahrung bereits anders und farbiger die Zellen im Blut gemischt?“

 

Doch schon bald beginnt das Gerede der vornehmen Gesellschaft, diskret und hinter vorgehaltener Hand, aber nicht zu überhören. Und schneller, als Christine lieb ist, endet ihr „Rausch der Verwandlung“, enden ihre Träume, für immer bei Onkel und Tante zu bleiben:

 

„‚Ich glaube selbst, du tust besser, von hier aus direkt nach Hause zu fahren, von hier gibt es ja einen bequemen Zug.‘ (…) – ‚Ja, ja.‘ Ganz leise tropfen Christine die Silben vom Mund. Warum sitzt sie eigentlich noch da? Die beiden wollen sie doch nur fort haben, rasch fort.“

 

Zurück daheim in ihrem ärmlichen Dasein, schließt sie sich Ferdinand an, einen „mit dem Geist der Revolte geladenen Menschen“, der anarchische Pläne verfolgt …

 

Stefan Zweig gehört unbestritten zu meinen Lieblingsautoren. Wie er den Leser in die Gefühls- und Lebenswelt seiner Figuren mitnimmt, ist absolut bemerkenswert. Zweigs Figuren (nicht nur die dieses Buches) sind nie eindimensional, nie nur gut oder nur böse, sondern stets vielschichtig und komplex, was ihnen eine unglaubliche Lebendigkeit verleiht und dem Leser erlaubt, jede ihrer Regungen mitzufühlen und jeden Gedanken mitzudenken. 

 

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