„Es tut mir leid, wenn du der Meinung bist, du hättest es schwer gehabt als Kind. Aber es gab immer ein Essen am Tisch, warme Sachen zum Anziehen und Spielzeug. Es ist euch nicht schlecht gegangen.“
Was genau macht eine glückliche Kindheit aus? Das ist nur eine der Fragen, die mir während der Lektüre von Jessica Linds „Kleine Monster“ durch den Kopf gingen. Genug zu essen, angemessene Kleidung, Spielzeug: Kein Zweifel, das gehört dazu – und ist keineswegs selbstverständlich. Und sonst?
Eine weitere Frage war: Wie sehr prägt die Erziehung, die wir erlebt haben, unsere Art zu erziehen? Werden wir, ob gewollt oder nicht, wie unsere Eltern? Und ist die Art unserer Eltern nicht immer präsent? Auch ex negativo, gerade wenn wir sie vermeiden wollen?
Und: Inwieweit kennen wir unser Kind, ja, können wir es überhaupt kennen?
Vor allem die letzte Frage treibt Protagonistin Pia um, seit sie und ihr Mann zur Klassenlehrerin ihres siebenjährigen Sohnes Lucas gebeten werden. Es habe einen „Vorfall“ gegeben, mit einem gleichaltrigen Mädchen. Pia kann und will es nicht glauben: Ihr Luca? Dieses liebe, zarte, sensible Kind? Unmöglich! Und doch schleichen sich langsam leise Zweifel in den mütterlichen Beschützerinstinkt. Ist Luca vielleicht doch nicht so unschuldig? Liegt da nicht etwas Lauerndes, Berechnendes in dem Blick aus großen Kinderaugen? Je zerrissener Pia sich fühlt, umso mehr erwachen Erinnerungen an ihre eigene Kindheit, an die Schwestern, die Mutter – und das, was damals geschah.
„Kleine Monster“ ist ein intensiver, zum Nachdenken anregender und gleichzeitig im besten Sinne unprätentiös erzählter Roman: bewegend und eindringlich, doch ohne Melodram.
„Ich sehe mein Kind vor mir, unverstellt und wahrhaftig. Er ist nicht perfekt. Er muss es nicht sein.“
Große Leseempfehlung!
[Werbung/Rezensionsexemplar. Ich danke NetGalley und Hanser Berlin herzlich für das kostenlos bereitgestellte E-Book.]
Jessica Lind: Kleine Monster. Hanser Berlin 2024 (E-Book)
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