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Stewart O'Nan: Emily, allein

Seit Emily Witwe ist, spielt sich ihr Leben in klar umrissenen Grenzen ab. Sie hat ihre Routinen und Rituale, sie hält Das Haus und, sobald das Wetter es endlich wieder zulässt, den Garten in Ordnung. Einmal in der Woche fährt sie mit ihrer ebenso betagten Schwägerin Arlene - allein das ist bei Marlenes fragwürdigem Fahrstil schon ein Abenteuer - in das nahgelegene Restaurant, wo die beiden alten Damen dank der sorgfältig ausgeschnittenen Coupons den Brunch für die Hälfte bekommen. Sie schreibt Weihnachtskarten und Dankesbriefchen. Und sie sorgt sich: Um ihre Tochter, die zwischen Sucht und Entzug pendelt (momentan hat sie eine ganz gute Phase). Um ihren Enkel, der sein Studium nicht packt. Um ihren uralten Hund, der die Treppe nicht mehr fehlerfrei bewältigt. Sie hat sich eingerichtet in ihrem Leben. Es ist wahrlich kein spektakuläres Leben, das Emily führt - aber es ihr ihr Leben, es ist alles in allem ein gutes Leben.

 

Emily, allein ist eine sehr sanfte, ruhige Geschichte, die mich bedächtig, aber unaufhaltsam in einen Lesesog gezogen hat. Und das liegt nicht zuletzt an Stewart O'Nans wunderbarer Sprache (aus dem Englischen von Thomas Gunkel), an der Atmosphäre, die er in dem Roma verschafft und die durch den Charakter seiner Hauptfigur geprägt ist - bisweilen melancholisch, aber nie schwermütig, sensibel und dennoch pragmatisch, etwas altersschwach, doch zupackend - und an seinem liebevollen, einfühlsamen Blick auf seine Protagonistin.

 

Ich habe mit Emily im Sessel gesessen und gelesen, ich habe mit ihr ihre geliebte klassische Musik gehört, meine Stirn sorgenvoll in Falten gelegt, als die Altersschwäche des Hundes immer augenfälliger wurde. Ich habe mit ihr in den Garten hinausgeblickt und ungeduldig auf den Frühling gewartet. Ich war mit ihr beim Brunch, in der Kunstausstellung und auf einer Beerdigung, habe Thanksgiving und Weihnachten mit ihr gefeiert. Und ich habe mir insgeheim die Frage gestellt, wie es wohl sein wird, wenn ich selbst einmal alt bin.


Eine große Leseempfehlung für alle, die eine leise, behutsam erzählte Geschichte zu schätzen wissen.

 

Stewart O'Nan: Emily, allein. Rowohlt Taschenbuchverlag 2013. 348 Seiten.

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