Ich liebe es, in Museen zu gehen. Kunst ‚macht was‘ mit mir. Sie schlägt eine Saite in meinem Inneren an, die im Alltag nur allzu oft ruht. Kunst versetzt mich in eine besondere Schwingung, oder vielmehr: sie lässt meine individuellen Schwingungen mit den kollektiven der Welt übereinstimmen, erzeugt einen Gleichklang, versöhnt mich mit allem (und jedem, zumindest temporär) und versetzt mich in einen Zustand tief empfundener geistiger und seelischer Harmonie.
Mein erster Museumsbesuch in diesem Jahr sollte mich eigentlich in die Munch-Ausstellung führen. Eigentlich – denn dann hielt mich das Ankündigungsplakat zumindest an diesem Tag davon ab: K20 / K21 las ich und interpretierte es als Hinweis auf zwei Ausstellungsorte, so wie es im vergangenen Sommer mit der Ai Weiwei-Ausstellung war. Das provisorische Haltestellen-Schild des Museum-Shuttles untermauerte diesen Eindruck zusätzlich. Zwei Ausstellungsstätten? Nein, dazu reichte meine Zeit an jenem Tag nicht. Wie ich mittlerweile weiß, wird die Munch-Ausstellung einzig im K20 beherbergt – ich hatte das Plakat missinterpretiert –, doch meine spontane ‚Ausweichausstellung‘ erwies sich als Volltreffer, als ungeahntes Highlight, ja, vermutlich sogar als ein Jahreshighlight meines persönlichen Kunstjahres 2020.
Wer sich in Düsseldorf auskennt, weiß, dass gegenüber dem K20 die Kunsthalle liegt. Und genau dorthin führte mich mein Weg, in die Ausstellung Bäume/Trees der Maler Carroll Dunham (*1949 in New Haven, Connecticut) und Albert Oehlen (*1954 in Krefeld). Beide sehen, so erfahre ich aus der Begleitbroschüre, im jeweils anderen den „wahrscheinlich besten Baum-Maler der Welt“. Soso. Ich muss gestehen, beide Künstler sagten mir bis dato nichts – was indes nichts über ihren jeweiligen Bekanntheitsgrad aussagt als vielmehr meinen bescheidenen Sachverstand widerspiegelt. Doch neugierig war ich schon: Warum ausgerechnet Bäume? Und wie spannend kann eine Ausstellung mit ausschließlich Bildern von Bäumen schon sein?
Die erste Frage beantwortet mir ebenfalls das Begleitheft; demzufolge lassen sich „ausgehend vom Sujet des Baumes unzählige philosophische, theologische, soziologische, ökologische und natürlich kunsthistorische Betrachtungen ableiten. Vom biblischen Baum der Erkenntnis und damit dem Ort des ersten Sündenfalls bis zum Lieblingsmotiv der Romantiker, von der radikal-modernistischen Fragmentierung durch Piet Mondrian bis zur Pflanzung der 7.000 Eichen durch Joseph Beuys – der Baum ist immer wieder ein zentrales Motiv unserer Religions-, Geistes- und Kulturgeschichte.“
Und was meine zweite Frage angeht, wie spannend eine Bäume-Ausstellung wohl sein kann: SU-PER-SPAN-NEND! Zumindest, wenn die Bäume auf so eigenwillige Weise porträtiert werden wie bei Dunham und Oehlen. Zur Charakterisierung ihres jeweiligen Stils sei hier kurz aus der Begleitbroschüre zitiert: „Während Bäume bei Albert Oehlen blattlos kahl, mitsamt Wurzeln den Bildraum dominieren und zum figurativen Anstoß abstrakter Bilder werden, ist der Baum bei Carroll Dunham mal blühend, mal vom Wind gepeitscht, dann wieder frisch gefällt und tot zu sehen.“
Ich persönlich mochte die expressive, teilweise ein wenig naiv anmutende Art der Baumdarstellungen bei Dunham durchaus gern; über die phallisch hervorragenden Ästchen im unteren Drittel musste ich widerwillig schmunzeln, bei der Signatur des Künstlers breit grinsen – sieht sie nicht aus wie eine Kugelschreiber-Schmiererei, ein Krickelkrakel, ja: eine Form von Vandalismus?
Doch wirklich begeistert haben mich die großformatigen Bilder Oehlens in der unteren Ausstellungshalle sowie das geschwungene Gemälde in der oberen (Öl auf Dibond*). Ein jedes fast vier Meter hoch und beinahe drei Meter breit, dominieren sie die Wand – und sind gleichzeitig so filigran, so zierlich wie eine japanische Tuschezeichnung. Ich setzte mich auf die Bank und ließ die Bilder einfach auf mich wirken. Und plötzlich sah ich nicht nur Bäume mit kahlen Ästen und sich vorsichtig hervorwagendem Wurzelwerk, sondern eine sich langsam entspinnende Fauna: Ist das nicht eine Gottesanbeterin? Eine Stabheuschrecke? Ein Wandelndes Blatt?
Ebenso - wenn nicht noch mehr! - verzauberte mich das geschwungene Gemälde in der oberen Ausstellungshalle. Das kann ein buchstäblich lebendiges, interaktives Erlebnis werden: Wenn man sich langsam von der einen zur anderen Seite des Bildes bewegt, scheint der Baum zum Leben zu erwachen, er entfaltet sich zu seiner vollen Weite, entrollt seine Verästelungen und verändert sich mit jedem Schritt, den man macht - um sich dann wieder schrittweise in sich zurückzuziehen,, einzurollen, zu komprimieren.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche Zeichnungen und Radierungen, die natürlich ebenfalls einen Blick wert sind. Die Ausstellung wird von Gregor Jansen und Cornelius Tittel in enger Zusammenarbeit mit den beiden Künstlern kuratiert und ist noch bis zum 1. März 2020 in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen. Der dazugehörige Ausstellungskatalog ist im Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln, erschienen, und enthält neben zahlreichen Bildern auch Texte zum Werk beider Künstler.
P. S. Wer es nicht schafft, sich die Ausstellung in Düsseldorf anzusehen oder zu weit weg wohnt: Von Juni bis Oktober wird Bäume/Trees im SprengelMuseum Hannover zu sehen sein.
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* An dieser Stelle eine klitzekleine Kritik an der Kunsthalle: Ich konnte den Untergrund nicht identifizieren und fragte den Museumswächter - der mir überaus freundlich, aber wenig hilfreich antwortete, er wisse es leider auch nicht. Für alle, denen es genauso geht wie mir: Dibond ist der Markenname für ein festes Verbundmaterial, das aus zwei Aluminiumschichten, die thermisch mit einem Polyethylen-Kern verbunden sind, besteht. Danke, Wikipedia!)
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Großrat (Samstag, 01 Februar 2020 19:23)
Vielen Dank für den schönen Ausstellungsbericht. Die Ausstellung ist für einen der nächsten Besuche in Düsseldorf fest eingeplant.
Freue mich schon auf die nächsten Artikel in dieser neuen Kategorie.