Zum 3. Todestag von Umberto Eco
„Drei Mailänder Verlagslektoren, die beruflich ständig über okkulte Wissenschaften, Geheimbünde und kosmische Komplotte lesen müssen, stoßen auf ein äußerst rätselhaftes Dokument aus dem 14. Jahrhundert. Darin ist von alle 120 Jahre wiederkehrenden Zusammenkünften der ‚36 Unbekannten‘, der Nachfahren der mysteriösen Tempelritter, die Rede. Die drei Spötter stürzen sich in das Labyrinth der Geheimlehren. Spielerisch erdenken sie eine gigantische Verschwörung. Aber dann merken sie, daß jemand ihre Phantasien ernst nimmt. Und der schreckt offenbar auch vor Mord nicht zurück …“ (Inhalt lt. Klappentext)
Ich war ein Teenager, als Ecos Das Foucaultsche Pendel auf Deutsch erschien. Das Buch galt in meinem Freundes- und Bekanntenkreis als schwer lesbar, ein Buch, das man seinem Vater zu Weihnachten schenkt, aber keinesfalls selbst liest. Ein paar Jahre später war ich Germanistikstudentin und mein intellektuelles Selbstbewusstsein zumindest soweit gediehen, dass ich mich an diesen „schwer zu lesenden“ Roman wagte. Ich schenkte es mir selbst und begann auf einer Bahnfahrt mit der Lektüre. Die Ernüchterung kam schnell. SEHR schnell. Der Ich-Erzähler beschreibt ausführlich die physikalische Formel, aus der sich die Rotation des besagten Pendels ergibt:
„Ich wußte […], daß die Periode geregelt wurde durch das Verhältnis der Quadratwurzel aus der Länge des Fadens zu jener Zahl p, die, irrational für die irdischen Geister, in göttlicher Ratio unweigerlich den Umfang mit dem Durchmesser eines jeden möglichen Kreises verbindet, dergestalt, daß die Zeit dieses Schweifens einer Kugel von einem Pol zum andern das Ergebnis einer geheimen Verschwörung der zeitlosesten aller Maße war …“
Der Satz geht noch weiter – viel weiter! Er umfasst – ich hab’s nachgezählt – 98 (!) Wörter. Und er befindet sich auf der ersten Seite. Nun muss man dazu wissen, dass meine Begabung für Naturwissenschaften, nun ja, nennen wir es: unterentwickelt ist. Was für ein Start. Okay, dachte ich, dieses Buch ist wirklich schwer zu lesen. Nun lag aber noch eine Stunde Fahrt vor mir und ich hatte keine Lesealternative (Smartphones oder Ebook-Reader gab’s noch nicht). Also biss ich die Zähne zusammen und las weiter. Die langen Sätze blieben vorerst, die physikalischen Ausschweifungen Gottseidank nicht. Und nach einigen Seiten war ich fast so etwas wie interessiert.
„Oh, welch klarer spätherbstlicher Morgen Ende November, im Anfang war das Wort, singe mir Muse den Zorn des Peliden, habe nun ach, die Frauen die Ritter die Waffen die Lieben, in alten Maeren wunders viel geseit.“ (S. 37)
Da schmunzelte ich das erste (und so viel sei hier schon verraten: bei weitem nicht das letzte!) Mal. Ein Buch, das in einem einzigen sinnlosen Satz das Johannesevangelium, die Ilias, den Faust und das Nibelungenlied zitiert, konnte so verkehrt nicht sein. Ein paar Seiten später – der Protagonist versucht verzweifelt, ein Passwort zu knacken – hatte sich das Schmunzeln zu einem Grinsen vertieft, und als er es schließlich, nach einer wahren Tour de force, endlich knackt, lachte ich laut auf. Das trug mir befremdete Blicke von links und rechts ein – ich saß noch immer in der Bahn –, doch da war ich für solche Nebensächlichkeiten schon nicht mehr empfänglich. Das Foucaultsche Pendel hatte mich gepackt. Und sein begnadeter, kluger, feinsinniger und überaus witziger Autor ebenfalls.
Danach las ich nahezu alles von Umberto Eco. Mit manchem fremdelte ich (Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana), anderes bescherte mir riesiges Vergnügen (Wie man mit einem Lachs verreist und andere nützliche Ratschläge). Und immer wieder griff ich zum Foucaultschen Pendel, das ich mittlerweile schon dreimal gelesen habe (wobei ich stets die erste Seite übersprang – man muss wissen, wo die eigenen Grenzen liegen). Und während ich dies tippe, beschließe ich, das Pendel ganz, ganz bald ein viertes Mal zu lesen.
So bleibt mir abschließend nur noch eines zu sagen: Grazie mille, Umberto. R. I. P.
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