„Ein untrügliches Zeichen der Liebe ist wohl, dass es den Liebenden möglich ist, einander anzuschauen, ohne auch nur in die geringste Verlegenheit zu geraten.“ (35)
Sommer 1990. Die Mauer ist gefallen, die Grenzen sind offen. Zum ersten Mal in ihrem Leben reisen Ella und René, ein junges ostdeutsches Paar, durch Frankreich. Das Budget ist klein, der Freiheitsdrang umso größer. Unversehens gelangen sie zu dem Schloss der Comtesse de Violet, das diese mit dem einzigen ihr verbliebenen Dienstboten bewohnt. Der einst prunkvolle Bau verfällt zusehends, in dem darin beherbergten Hotel wurden schon seit geraumer Zeit keine Gäste mehr empfangen. Umso erstaunlicher ist es, dass Ella und René ein Zimmer bekommen, ja, mehr noch: Die distanziert-elegante Comtesse erweist dem Pärchen die Ehre, mit ihr dinieren zu dürfen. Das Essen ist vorzüglich, die Atmosphäre unterkühlt – bis Alain, der hitzköpfige Sohn der Gräfin unangekündigt aus Paris anreist und die unterschwellig angespannte Situation zwischen ihm und seiner Mutter eskaliert, wovon auch Ella und René nicht unberührt bleiben. In der Folge reist René mit Alain nach Paris – ohne Ella …
… und mehr möchte ich über den Inhalt des Romans nicht verraten, auch wenn es noch sehr, sehr viel mehr zu erzählen gäbe. Denn Mario Schneiders scheut sich in seinem Romandebüt nicht davor, die ganz großen Themen des Menschseins aufzugreifen: Vergangenheit und Zukunft, Hoffnung und Verzweiflung, Lebenshunger und Lebensüberdruss und – natürlich! – die Liebe, in all ihren Schattierungen. Doch so monumental diese Themen auch sein mögen: Der Autor nimmt sich ihrer mit einer Leichtigkeit und Eleganz an, die so erfrischend ist wie ein Rosé an einem heißen Sommertag – und das, ohne in Banalitäten abzugleiten.
Vielleicht kennt ihr das, dass man sich während der Lektüre eines Buches die Frage stellt, wie eine Verfilmung aussähe. So ging es mir mit Die Paradiese von gestern. Doch wenn ich ehrlich bin, bedürfte es dieser gar nicht: Der Roman ist so atmosphärisch, lebendig und plastisch, dass der „Film“ sich ganz von allein vor dem inneren Auge entfaltet.
Zwei kleine Kritikpunkte habe ich indes doch. Zum einen hätte manche Passage und mancher Dialog für meinen Geschmack gerne etwas straffer erzählt werden dürfen. Zum anderen sollte man die an einigen Stellen etwas eigenwillige Interpunktion für die nächste Auflage vielleicht noch einmal überarbeiten.
[Werbung/Rezensionsexemplar. Ich danke dem Mitteldeutschen Verlag herzlich für die kostenlose Bereitstellung des Leseexemplars.]
Mario Schneider: Die Paradiese von gestern. Mitteldeutscher Verlag 2022. 556 S.
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