Wenn am 21. November der Kunstpalast nach dem aufwändigen Umbau seine Sammlung neu präsentiert, wird auch ein Gesamtkunstwerk wieder zu sehen (und zu erleben!) sein, das seinen Ursprung in Düsseldorf hat: Das legendäre CREAMCHEESE. 1967 unweit der Kunstakademie eröffnet, war es europaweit der Club und vor allem Treffpunkt für die Kunst- und Musikszene. Bestückt mit den damals dort ausgestellten Werken von Günther Uecker, Gerhard Richter, Daniel Spoerri und weiteren Künstlern wird nun der Thekenbereich dieser legendären Kneipe im Kunstpalast präsentiert.
1967: In West-Berlin wird die Kommune 1 gegründet und Freddy Quinn erhält seine zehnte Goldene Schallplatte. In New York demonstrieren unter Martin Luther Kings Führung mehr als eine Achtelmillion Menschen gegen den Vietnamkrieg; in West-Berlin kommt es während einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs zu Ausschreitungen, die von der Polizei mit Billigung des Polizeipräsidenten brutal niedergeknüppelt werden. ARD und ZDF läuten die Ära des Farbfernsehens ein, in New York wird „Hair“ uraufgeführt. Der Bundestag verabschiedet das Filmförderungsgesetz mit der „Sittenklausel“ und in Kapstadt wird das erste menschliche Herz verpflanzt. Altkanzler Konrad Adenauer stirbt, Che Guevara auch. Und in Düsseldorf? Dort wird der Neubau der Kunsthalle und des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen feierlich eröffnet. Und vor allem: das CREAMCHEESE.
Inspiriert von Andy Warhols Club „The Dom“ in New York, wollte Günther Uecker etwas Vergleichbares in Düsseldorf schaffen: eine Aktionsgalerie als Kneipe, ein Ort, an dem getanzt und getrunken wurde, ein Raum für experimentelle Kunst aller Art, Musik und Theater, Literatur und Filme, Mode und Tanz. Alles war erlaubt, alles war willkommen. Gelebter Beat einer Generation, die gegen die verkrusteten bürgerlichen Ideale aufbegehrte. Uecker entwickelte ein entsprechendes Programm, und nachdem man in Hans-Joachim und Bim Reinert man die perfekten Betreiber gefunden hatte, öffnete das Creamcheese am 21. Juni 1968 in der Düsseldorfer Neubrückstraße, unweit der Kunstakademie, seine Pforten.
Schnell wurde klar, dass dieser Club keine gewöhnliche Altstadtkneipe war. Die an der Innenausstattung beteiligten Künstler lesen sich wie ein avantgardistisches Who-is-Who. Neben Günther Uecker wirkten u. a. Heinz Mack, Daniel Spoerri und Gerhard Richter an der Innengestaltung mit: Mack gestaltete die Theke aus Aluminiumblech (sie galt mit mehr als 14 Metern als längste Theke Düsseldorfs), Uecker präsentierte sein Werk „Electric Garden“ von 1968, ein großer Nagel in einem fast drei Meter hohen Käfig. An der Wand hing Richters PIN UP, an der Decke eine Arbeit von Spoerri: eine fünfeinhalb Meter lange, gleichsam kopfüber hängende vollständig bestückte Theke mit Biergläsern, Aschenbechern und Zigarettenpackungen.
Projektionen von Dias und Filmen, neuartige Beleuchtungs- und Akustikeffekte bildeten das reguläre Programm und schufen eine einzigartige, nie zuvor dagewesene Atmosphäre. Es lief Musik von Camel und Pink Floyd, Deep Purple und Supertramp, Frank Zappa, CAN und Kraftwerk traten live auf. Joseph Beuys und Anatol Herzfeld gehörten zu den Stammgästen, Jimi Hendrix schaute auch mal vorbei. Ja, selbst das Thekenpersonal war aus heutiger Sicht legendär: Blinky Palermo bediente ebenso wie Imi Knoebel oder Katharina Sieverding.
Das Creamcheese war gleichsam von Anfang an ein anerkanntes „Gesamtkunstwerk“, bereits 1968 wurde eine Dependance der Kunstkneipe auf der 4. Documenta in Kassel gezeigt. Nach seiner Schließung neun Jahre später erwarb der Kunstpalast 1978 die bemerkenswerte Innenausstattung, die dann allerdings, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Depot gelagert wurde. Doch dank Generaldirektor Felix Krämer ist das Schattendasein nunmehr beendet: Zur Wiedereröffnung des Museums nach dem Umbau wurde der Barbereich in enger Abstimmung mit Günther Uecker und Heinz Mack detailgetreu rekonstruiert.
Gestern lud das Museum zu einer ersten Vorbesichtigung des Creamcheese-Raumes ein – und als wäre das nicht aufregend genug, teilte dessen prägendste Figur, der mittlerweile 93-jährige Günther Uecker, seine Erinnerungen: Wie ihm die Idee zum Creamcheese kam („eine Aktionsgalerie als Kneipe“). Wie er Frank Zappa in New York kennenlernte und man gemeinsam LSD nahm – by the way Zappas erste LSD-Erfahrung, denn die Substanz „war damals noch nicht so bekannt“. Überhaupt galt damals diesbezüglich: „Man geht nicht zum Psychiater, man therapiert sich kollektiv.“ Ob er sich so fühle wie seinerzeit im echten Creamcheese? „Architektonisch schon“, antwortet er vergnügt und berichtet launig, wie an einem Abend unvorstellbare 2000 Leute ins Creamcheese kamen. Einige von ihnen wurden selbst zu Akteuren spontaner Performancekunst: Auf einer von Uecker und dem Filmemacher Lutz Mommartz konzipierten Fernsehwand mit 24 Röhrenfernsehern wurde Videomaterial gezeigt, das neben Filmen und aktuellen Nachrichtensendungen Live-Übertragungen von der tanzenden Menge im hinteren Clubbereich übertragen.
Dass dieser „Mittelpunkt des ungewöhnlichen Vergnügens“ im Kunstpalast eine Wiederauferstehung erlebe, rühre ihn an: „Ich bin glücklich, dass man das als Zeugnis dieser Zeit hier in Düsseldorf errichtet hat“, offenbart Uecker. Ab dem 21. November 2023 wird die Öffentlichkeit die Gelegenheit haben, den noch immer (oder endlich wieder?) vibrierenden Geist einer vergangenen Zeit nachzuerleben, in der Kunst keine wirklichkeitsenthobene, dem Bildungsbürgertum vorbehaltene Konstruktion war, sondern eine kollektive Erfahrung, die alle Sinne ansprach, zugänglich und nahbar.
Was sein Highlight sei, wird Uecker abschließend gefragt. „Highlight?“, antwortet er, „Highlight ist, wenn das Licht angeht.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
CREAMCHEESE-Raum im Museum Kunstpalast
Ab 21. November 2023
Freitags und samstags mit Barbetrieb!
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